Ein Ausflug ins Opel-Oberhaus
Wer an die Oberklasse der 90er denkt, hat vermutlich eher den Stern mit drei Zacken oder den weiß-blauen Propeller auf dem Grill vor Augen. Aber Stopp – da gab es ja noch was aus Rüsselsheim: den Opel Senator B 3.0 24V. Ein Auto, das so selten auf der Straße auftaucht, dass man fast vergisst, dass Opel in der Liga der Großen mitgespielt hat. Genau dieses seltene Stück deutscher Autogeschichte habe ich mir einmal genauer angeschaut.
Mit seinem exklusiven Charme – inklusive Senator Card (die nur noch als Gag im Hotel taugt) – will er zeigen, dass Oberklasse nicht immer nur S-Klasse oder Siebener heißt. Die Optik? Dezent und doch eigenständig, mit ein paar Anleihen an den Audi V8. Aber kann so ein Opel wirklich Oberklasse? Oder bleibt er der große Unbekannte neben all den Statussymbolen?
Im Alltagstest schaue ich genau hin: Ist der Senator B eher „Geheimtipp für Genießer“ oder doch einfach ein „Omega im feinen Zwirn“? Eins sei verraten: Sein Sechszylinder hat ordentlich Pfeffer und auch sonst steckt mehr drin als mancher denken mag. Wer also mal wissen will, ob der letzte Opel-Oberklassewagen mehr als nur ein Blender ist – hier entlang, denn am Ende wartet wie immer das ehrliche Fazit!
Das hat uns bewegt – Oberklasse mal anders
Steigt man in den Senator B ein, fühlt man sich schnell um Jahrzehnte zurückversetzt – in die Zeit, als Oberklasse noch nicht aus Touchscreens und Assistenten bestand. Schwungvolle Linien, ein Kreuzspeichendesign bei den Felgen (gab’s auch bei BMW, aber pssst), viel Chrom und diese unübersehbare Aura von „Ich wollte nie ganz Star der Oberklasse sein, aber bitte nehmt mich ernst.“
Klar, technisch fußt er auf dem Omega A – ein Umstand, den man an manchen Stellen schon merkt. Aber: 15 Zentimeter mehr Länge, rundere Rathäuser und luxuriöse Details geben dem Senator ein eigenständiges Auftreten. Seine Zielgruppe? Menschen, die wissen, was sie wollen – nämlich Komfort, Understatement und einen Spritzer Fahrspaß, ohne gleich im Chefsessel-Syndrom zu landen. Und ja, für den echten Kenner gab’s 24V-Endrohre (das „Schwiegermutter erschrecken“-Feature inklusive).
Wo der Senator B in der Presse gern zwischen den Klassen jonglierte, begeistert er im Alltag durch sein ruhiges Fahrgefühl und überraschend viel Platz auf der Rückbank. Dazu kommt ein Kofferraumvolumen, das selbst 7er-BMW-Fahrer in Verlegenheit bringt. Sicher, die Oberklasse-Glorie der 90er leidet an fehlenden Airbags und mancher Rostgefahr – aber vielleicht macht genau das den Senator heute zu so einem speziellen Schatz für Individualisten und Liebhaber „echter“ Autos. Vielleicht, weil er einem nichts vorspielt – alles echt, alles klar, alles typisch Opel.
Exterieur – Chrom für Kenner
Opel hat beim Senator B nicht einfach Omega plus gemacht, sondern Details geschaffen, die Kenner sofort erkennen: Der legendäre „Wabengrill“ vorne – Insider nennen ihn liebevoll Waffeleisen oder Eiswürfelfach – hebt ihn deutlich vom Omega ab. Dazu Scheinwerfer mit nach unten gewanderten Blinkern samt massiver Chromspange und große Kreuzspeichenfelgen.
Die stattliche Länge von 4,85 Metern und die elegante Linienführung geben ihm einen stattlichen Auftritt. Die waagerechten Radhäuser sind runder als beim Omega A, die Seitenlinie wird durch opulent hohe Chromleisten betont. Von hinten dann die 80s/90s-Trendansage: Ein durchgehendes Leuchtband samt Spoiler und charakteristischen Endrohren für die 24V-Variante. Ein Audi V8 lässt grüßen – mindestens optisch konkurriert der Senator ohne Scheu.
Wer neben den ganzen CLS und 5ern auf dem Parkplatz einmal Understatement de luxe parken will, ist hier richtig. Man wird nicht angequatscht, weil niemand mehr weiß, was für ein Auto da eigentlich gerade glänzt.
Interieur – Samt, Stoff und Sesselgefühl
Drinnen gibt’s die volle Nostalgie-Breitseite, samt holzfarbener Applikationen, beigen Filzstoffen und wahnsinnig weichen Sitzen. Wer je auf Business Class auf vier Rädern aus war (und keine Angst vor Retro hat), wird sich hier wohlfühlen – einmal Einsinken und Abtauchen, so weich polstern nur noch Sofas.
Platz ist kein Thema, vorn fürstlich, hinten problemfrei auch für den Chauffiertest geeignet. Sitzheizung gibt’s für die Rückbank, dazu eine der stärksten Klimaanlagen ihrer Zeit (nicht lachen: Kofferraum inklusive „Klimazone“). Dank der großen Fensterflächen ist es wunderbar hell, die unterschiedlich gemusterten Stoffe von Sitz zu Tür erzeugen ein Ambiente zwischen Wohnzimmer und Yuppie-Büro.
Klar, im „Senator CD“ wäre noch mehr Luxus drin, aber auch die Standard-Version muss sich nicht verstecken. Verarbeitung? Überraschend solide, wenngleich einige Stoffe mit dem Alter Falten schlagen – Opel-90er-Karma eben.
Bedienung – Analoge Einfachheit und ein Rätsel-Knopf
Die Bedienelemente? Oldschool, übersichtlich, keine Rätsel-Menüs. Große Kipp- und Druckschalter steuern Sitzheizung, Lüftung und Warnblinker. Die elektronische Klimaautomatik war einst ein Highlight und lässt sich intuitiv bedienen – da können sich heutige Digital-Panel-Gurus eine Scheibe abschneiden.
Amüsantes Gimmick: Ein geheimnisvoller Knopf an der Fenstersteuerung – lässt einfach den Einklemmsutz übersteuern. Die wichtigsten Funktionen sind selbsterklärend, der Bordcomputer erzählt brav über Verbrauch und Trips. Wer keinen hat, darf nostalgisch auf die analoge Uhr blicken.
Navi? Leider nie fertig geworden. Dafür können linke und rechte Pfeile in der Anzeige traurig auf den Durchbruch digitaler Navigation warten. Wer Oldschool mag und keine Geduld für Touchscreens hat, wird hier zufrieden seufzen.
Praktikabilität – Viel Platz und mehr als nur Chefkino
Der Senator hat einen Kofferraum, der mit 530 Litern selbst heutige Mittelklasse aussticht. Die Rückbank lässt sich umklappen – erstaunlich für die Klasse – und das Ersatzrad verschwindet elegant an der Seite. Praktisch: Im Gegensatz zu 7er, S-Klasse und Konsorten kann man im Senator problemlos sperrige Sachen transportieren.
Innen gibt’s ausreichend Ablagen, großzügigen Platz für Fahrer und Passagiere und eine verstellbare Sonnenrollo. Die Zugänglichkeit vorne, Gepäckfreundlichkeit hinten – alles alltagstauglich, auch mit Familie. Einziges Manko: Rostschwäche an Türen und Radhäusern, wie bei allen Opel-Klassikern jener Tage. Wer also auf Schatzsuche geht, sollte mit dem Magneten kommen.
Fahrverhalten – Komfortable Sänfte mit Sechszylinder-Schub
Fahren im Senator – das ist keine Hetzerei, sondern entspannter Lounge-Modus auf Rädern. Der 3.0-24V-Sechszylinder ist ein echtes Sahneteil: 204 PS, 270 Nm Drehmoment, auf Fußdruck stets bereit zu zeigen, dass Oberklasse auch Tempo kann. Besonders raffiniert: Das Dual-Ram-Ansaugsystem teilt den Motor quasi in zwei „Dreierbanden“ auf, damit im unteren Drehzahlbereich Drehmoment da ist. Oberhalb von 4.000 U/min geht dann richtig die Post ab – ein zweiter Schub, fast wie damals bei „VTEC just kicked in, yo”.
Die Lenkung mit Servotronic ist angenehm leicht bei Stadtgeschwindigkeit und gibt auf der Landstraße mehr Widerstand. Das Fahrwerk macht keine Kompromisse: „Dynamic Ride Control“ lässt sich auf drei Härtegrade einstellen. Komfort steht klar im Fokus, sportliche Ansprüche bitte abschminken – hier wird gewippt und geschaukelt, nicht gekratzt.
Geräusche werden solide weggefiltert, aber „absolutes Schweigen“ ist hier nicht zu holen – für die 90er aber vollkommen im Rahmen. Bei Tempo 100 läuft der Senator entspannt bei etwas über 2.000 Touren, der Verbrauch bleibt mit 9 bis 10 Litern moderat – nicht schlecht für alte Sechszylinder-Tugenden!
Fahrspaß gibt’s trotzdem: Der Senator lässt sich flott bewegen, wenn’s sein muss. Seine wahre Stärke liegt aber im majestätischen Dahingleiten.
⚙️ Technische Daten
- Modell: Opel Senator B 3.0 24V
- Baujahr: 1991
- Motor: 3,0-Liter-Reihensechszylinder, 24 Ventile
- Getriebe: 5-Gang-Handschaltung
- Antrieb: Heckantrieb
- Leistung: 204 PS / 150 kW
- Drehmoment: 270 Nm
- Gewicht: ca. 1.525 kg mit Fahrer
- Höchstgeschwindigkeit: 240km/h
- 0–100 km/h: 7,8 Sekunden
- Verbrauch (kombiniert): 9,2 l/100 km (praxisnah auch ~8,5 l möglich)
- Preis (Basis/Testwagen): ca. 50.000 DM Neupreis, aktuell zwischen 5.000 und 7.000 € auf dem Gebrauchtmarkt
🔝 Top 5 – Was richtig gut ist
- Fährt komfortabler als viele heutige Oberklasse-Wettbewerber.
- Kapitänsfeeling, sobald man in den Sitz einsinkt.
- 24V-Endrohre lassen Kennerherzen höherschlagen.
- Praktischer Kofferraum mit umklappbarer Rückbank – Oberklasse mit Kombi-Genen.
- Unverfälschtes, authentisches Oldschool-Erlebnis – niemand weiß, was du da fährst.
🙈 Flop 5 – Was nicht so toll ist
- Airbag? Leider Fehlanzeige, Sicherheit ist Geschmacksache.
- Rost hat beim Senator schon manchem das Herz gebrochen.
- Das Navigationssystem blieb wohl für immer in der Entwicklungshölle.
- Die Klimaanlage verliert ggf. schneller Kältemittel als man tankt.
- Je nach Ersatzteil kann der freundliche Händler zum Spezialitätenhändler werden (inklusive Spezialpreise).
Fazit & Score – Oberklasse für Eingeweihte
Der Opel Senator B 3.0 24V ist ein echter Geheimtipp für alle, die Oberklasse mal abseits vom Mainstream erleben wollen. Wer sich einen Mercedes kauft, will beeindrucken. Wer sich einen Senator kauft, will genießen. Er ist nicht perfekt: Die Sicherheitsausstattung war spätestens Anfang der 90er ein Problem, und die Gebrauchtwagen-Suche gerät gern zur Rost-Rallye. Aber das Fahrgefühl – weich, ruhig und immer mit einem cleveren Schuss Punch – ist auch heute noch etwas Besonderes.
Der Senator B ist bequem, flott genug und voller authentischer 90er-Charme und verdient sich damit sein Plätzchen bei den Youngtimern. Nicht jeder wird dich verstehen, wenn du ihn fährst, aber genau das ist seine Stärke. Ideal für Individualisten und Genießer.
Bewertung im Video: 68 von 100 Punkten
📹 Zum Video
Hier geht’s zum Video: https://youtu.be/dyqoYIzQEnM
Transparenz
Dieser Text basiert auf dem Video, welches am 06.12.2019 zuerst veröffentlicht wurde.
